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Ad-hoc-Gruppe "Beratung als Träger der Transnationalisierung"

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Date
Tue, 10/12/2010 - Thu, 10/14/2010
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Die Forschungsperspektive der Transnationalisierung nimmt Prozesse und Strukturen der Ordnungsbildung in den Blick, die nicht – oder nicht mehr – ausschließlich in Nationalstaaten als umgrenzte ,Raum-Container‘ und übergreifende Institutionenordnungen eingebettet sind. In vertikaler Richtung impliziert Transnationalisierung die Auflösung und Re-Formierung etablierter Ordnungsebenen (insb. des Nationalstaats) sowie den Bedeutungszuwachs und die Neukonstitution lokaler, regionaler, supranationaler und globaler Ordnungsebenen. In horizontaler Richtung zeigt sich Transnationalisierung als vielgestaltiger Prozess in der kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Sphäre. Wir wollen uns in der Ad-hoc-Gruppe einem Aspekt dieses Prozesses und seiner horizontalen sowie vertikalen Wirkung genauer widmen: dem Phänomen der Beratung. Die Ad-hoc-Gruppe geht davon aus, dass Beratung beziehungsweise Berater und Transnationalisierung sich wechselseitig stützen, da sie Wissensbestände und Legitimationsmuster produzieren, die bei der Entbettung sozialer, wirtschaftlicher, politischer und normativer Strukturen aus dem nationalen Kontext eine zentrale Rolle spielen. So werden die Möglichkeitsbedingungen transnationaler Ordnungsbildung geschaffen, wobei Berater von der Kontingenzsteigerung profitieren, die mit der Öffnung neuer transnationaler Kommunikationsräume einhergeht.

Berater sind als Gruppe ‚Trägerschicht‘ (Weber, Lepsius) der Transnationalisierung und zugleich ist Beratung als Praktik in unterschiedlichste Kontexte eingeflochten, sodass sie allgemeine Kulturbedeutung erlangt. In der Ad-Hoc-Gruppe soll das Konzept der Trägerschicht in seinem umfassenden akteurs- und strukturtheoretischen Analysepotential fruchtbar gemacht werden: Das heißt, Beratung wird einerseits als eine Tätigkeit eines Akteurs bzw. einer Gruppe von Akteuren mit bestimmten Eigenschaften, Wissen und Ressourcen aufgefasst. Diese Akteure nehmen zumeist die Rolle von ‚unabhängigen Experten‘ und ‚kulturellen Anderen‘ (Meyer) ein und treiben lokale Wandlungsprozesse relativ autonom und losgelöst von lokalen Zwängen voran. Darüber hinaus sind die symbolischen Ordnungs- und Sinnsysteme, die typischen Praktiken, Routinen und Standards von Beratung selbst als eigenständige Dimensionen und als Träger von Transnationalisierungsprozessen zu verstehen.

Die kultur- und länderübergreifende Wirkung von Beratung ist keineswegs neu. So sind zahlreiche Berichte über die Rolle grenzüberschreitend tätiger Experten bei der Entstehung des modernen Staatswesens und der Herausbildung von Nationalstaaten bekannt. Doch gerade mit dem fulminanten Aufstieg des Beraters als Archetyp des postindustriellen Wissensarbeiters in den vergangenen drei Jahrzehnten und der Beratung als eigenständigem Berufszweig und Wirtschaftssektor im Zuge der Herausbildung einer globalen Wissensgesellschaft geht von der Beratung heute eine entgrenzende und transnational übergreifende Sogwirkung aus. Berater bilden neben international agierenden Managern, Künstlern, und hochqualifizierten Fachkräften die Avantgarde der
globalen Wissenselite. Sie sind grenzüberschreitend tätig und transportieren Wissensbestände und Praktiken über lokale Kontexte hinweg und in lokale Kontexte hinein. Beratung trägt mit seinem originär reflexiven und (selbst-)rationalisierenden Impetus dazu bei, dass sich Individuen, Organisationen, Behörden, Unternehmen und Regionen an ganz unterschiedlichen Orten mehr und mehr als ähnliche Akteure mit ähnlichen Aufgabenstellungen und Problemlagen wahrnehmen. Beratung tritt hierbei ebenso wie Transnationalisierung in ganz unterschiedlichen sozialen Bereichen auf. In der Sphäre der Wirtschaft etwa haben Unternehmens- und Managementberatungen, Rechtsanwälte und Kanzleien sowie Rechnungs- und Buchprüfer zu einer Transnationalisierung vormals nationalstaatlicher Ordnungen beigetragen. In der Sphäre der Politik treiben Weltbank und Welthandelsorganisation, Europäische Union und internationale Nichtregierungsorganisationen mit Praktiken des Beratens die Genese, Diffusion und Steuerungswirkung transnationaler Ordnungen voran. Im Feld der Bildung sichern Wissenschaftler in Beratungsarrangements mit internationalen und supranationalen Organisationen die Konstitution von Schulen und Universitäten als rationale, beratungsfähige und -bedürftige Akteure. In der Sphäre des Militärs und der Sicherheit werden Sicherheitsfirmen und Geheimdienstmitarbeiter zu beratenden Experten. Hierbei fällt auf, dass insbesondere auch kollektive Akteure – seien es Internationale Organisationen (IO), Nationalstaaten, transnationale Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen – bei der Beratung eine zentrale Rolle spielen.

Ziel der Ad-hoc-Gruppe ist es, der Verknüpfung von Beratung und Transnationalisierung auf der Basis von aktuellen empirischen, konzeptionellen und historisch vergleichenden Beiträgen nachzugehen. Erwünscht ist eine explizite Auseinandersetzung mit dem Konzept der sozialen Trägerschaft. Exemplarisch bieten sich folgende übergreifende Fragestellungen an:
- In welchen gesellschaftlichen Sphären (z.B. Politik, Bildung, Kunst, Religion, Wirtschaft, Wissenschaft) treten welche Beratungspraktiken, Berater und Beratungsorganisationen im Kontext der Transnationalisierung auf?
- Wie werden beratende und beratbare Akteure als transnationale Subjekte konstituiert und in welche transnationalen Handlungsarrangements werden diese eingebettet?
- Welche klassischen nationalstaatlichen Formen der Governance werden durch neue transnationale Governance-Formen ersetzt, die Beratungsarrangements beinhalten? Was sind deren Rationalitäten, Techniken und Subjektformen?
- Wie trägt Beratung zum Regieren jenseits nationalstaatlicher politischer Herrschaftsstrukturen bei?
- Welche Rolle spielen Berater bei der weltweiten Diffusion und Interpretation von standardisierten Handlungsskripten (bspw. Von Policy- und Managementmodellen)?
- Welche historischen Vorbilder gibt es für heutige Formen von Transnationalisierung durch Beratung?
- Inwieweit unterscheiden sich transnationale von nationalen Beratungsarrangements?
- Wie haben Berater als Trägergruppe von der Transnationalisierung profitiert? Welche politischen Implikationen sind damit verbunden?
- Welcher Gesellschafts- bzw. Vergesellschaftungsbegriff fasst eine solche, eng mit Beratung verknüpfte, transnationale Ordnungsbildung?

Aussagekräftige Abstracts (max. 500 Wörter) können bis spätestens 09.05.2010 an alle
drei Organisatoren geschickt werden:
Stefan.Bernhard@iab.de
Sebastian.Buettner@soziol.phil.uni-erlangen.de
cschmidtw@uni-potsdam.de

Organizer
Institution
Jubiläumskongress der DGS 2010
Contact person
Christian Schmidt-Wellenburg
Network
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