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Wissenschaft und Gesellschaft: Macht-, diskurs- und feldanalytische Perspektiven

Gespeichert von Jens Maeße am Fr., 31.08.2018 - 14:49
Kategorie
Datum
Do., 07/30/2015 - Fr., 07/31/2015
Anmeldeschluss

Call for Papers
Wissenschaft und Gesellschaft
Macht-, diskurs- und feldanalytische Perspektiven
30.07.-31.07.2015, Forum Internationale Wissenschaft, Universität Bonn

Wissenschaft und Gesellschaft stehen in enger Wechselbeziehung zueinander. Diese Beziehungen sind nicht ahistorisch fixiert, sondern befinden sich im Wandel. Seit der Gründung der frühmodernen, wissenschaftlich-philosophischen Universität im Zuge der Aufklärung sind diese institutionalisiert, allerdings nicht ohne weiterhin multiplen Wandlungsprozessen unterworfen zu sein. Von diesem Wandel ist nicht nur das Verhältnis von Bildung und Wissenschaft, sondern auch die gesellschaftliche Rolle und Bedeutung unterschiedlicher Disziplinen und epistemischer Expertensysteme berührt. Während im 19. Jahrhundert noch eine kleine, geisteswissenschaftlich geprägte Elite Bildung und (Geistes-)Wissenschaft unter dem Dach unterschiedlicher humanistisch geprägter Philosophien (etwa des Neuhumanismus in Deutschland, der Kultureliten in England) vereinte und in Beziehung zum Staat setzte, beobachten wir heute ein komplexeres, quantitativ ausgeweitetes, ausdifferenziertes System von Wissenschaft und Gesellschaft, das sich über Wirtschaft, Medien und Politik erstreckt.
Dies zeigt sich etwa in der Rolle der Bildungswissenschaften für die Definition und Legitimierung sozialer Ungleichheiten und Teilhabechancen, im Einfluss der Lebenswissenschaften auf gesellschaftliche Konstruktionen von Krankheit und Gesundheit, in der Definition von Phänomenen wie „Bewusstsein“ oder „Gedächtnis“ durch die Neurowissenschaften, der Zuständigkeit von Technik- und Ingenieurwissenschaften für die Abschätzung von Risiken und Potentialen technischer Entwicklungen, oder in der Rolle der Ökonomie für die Herstellung globaler polit-ökonomischer Beziehungen. Gleichzeitig zeigen sich auch in der Wissenschaft selbst unterschiedliche Formen der Vergesellschaftung, etwa in ethischen Beschränkungen der Forschung in den Lebenswissenschaften, der medialen Vermittlung und Popularisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse, der Ökonomisierung von Wissenschaft und Bildung oder politisch motivierten Versuchen der externen Definition und Messung wissenschaftlicher Leistungen. Dass es sich bei dem Wechselspiel zwischen Wissenschaft und Gesellschaft nicht immer um eine friedvolle, funktionale Arbeitsteilung handelt, zeigen konflikthafte Positionierungsversuche, wie sie in den Geisteswissenschaften und ihrem Verhältnis zu gesellschaftlichen Relevanzforderungen oder in den Sozialwissenschaften im Spannungsfeld von „reiner“ Wissenschaft und praktischem Anwendungswissen zu beobachten sind.
Dabei stellt sich immer wieder die Frage, welches Wissen als legitim gilt, wer als dessen autorisierter Sprecher auftreten kann und welche Rolle der institutionelle Rahmen der Wissenschaft spielt. Da sowohl das Wissen selbst als auch die Akteure, Träger und Repräsentanten wissenschaftlichen Wissens keinen abgeschlossen Mikrokosmos bilden, sondern sich zwischen Wissenschaft und Gesellschaft bewegen, stellen sich unter anderem folgende Fragen:
- Wie und von wem wird solches Wissen (re)produziert? Welche Akteure gelten als öffentliche Repräsentanten und Vermittler von Wissen, wer arbeitet an der Produktion akademischen Wissens?
- Wie verfestigt sich akademisches Wissen institutionell oder materiell, wie verbreitet es sich – in wissenschaftlichen Gemeinschaften, in institutionellen Strukturen, in Anwendungsbereichen? Wie zirkuliert Wissen zwischen sozialen Kontexten?
- Wie verschaffen Akteure sich und ihrem Wissen Geltung? Welche Mechanismen der machtvollen Durchsetzung, der stillen Einflussnahme oder der latenten Etablierung von Wissen können beobachtet werden? Welche Rolle spielen Mechanismen der Legitimierung innerhalb der Wissenschaft und zwischen Wissenschaft und Gesellschaft?

Während die klassische Wissenschaftssoziologie entweder eine Fortschrittserzählung oder einen zu demaskierenden Überbau beschreibt, interessieren wir uns für die konkreten Bedingungen, Einbettungen und Wechselspiele der (Re)Produktion von Wissen, seiner Träger und seiner institutionellen Rahmung. Dazu bieten sich aktuelle macht-, diskurs- und feldanalytische Perspektiven an, die das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft als heterogenes, in soziale Spannungen eingelassenes Wissensterrain beschreiben, in dem Deutungskämpfe stattfinden, Relevanzen und Zuständigkeiten festgelegt und Ressourcen definiert und verteilt werden.
Das Interesse für die Verbindung von Macht und Wissen hat in den letzten Jahren unterschiedliche Forschungsarbeiten inspiriert. Während etwa im Anschluss an Bourdieu der Zusammenhang von Wissen und Macht als symbolisches Kapital untersucht wird, über das sich die Akteure legitimieren, ausweisen und abgrenzen, betonen von Foucault oder Butler ausgehende Studien die Macht des Diskurses, die Performativität der Macht und die Praktiken der Menschenführung in Form von Disziplinierungs- und Normalisierungstechnologien. Trotz aller theoretischen und methodologischen Unterschiede sind sich die neueren Machtanalysen darin einig, dass es in zeitgenössischen Gesellschaften nunmehr darum gehen sollte, den subtilen, kulturalisierten und diskursivierten Charakter von Macht und Herrschaft in den Blick zu nehmen.
Ausgehend von dieser grundsätzlichen Einsicht wollen wir im Workshop anhand konkreter Forschungsprojekte an diese Debatte anschließen und einzelne Stränge vernetzen, Probleme diskutieren und kontroverse Fragen aufwerfen. Folgende exemplarische Fragen können dabei von Interesse sein:
- Welche Relevanz haben diskursive, symbolische oder materielle Kräfteverhältnisse für wissenschaftliche Akteure (z.B. in ihren Karrieren oder Netzwerken), für Organisationen (z.B. Universitäten oder Einrichtungen der Forschungsförderung), für die Produktion wissenschaftlichen Wissens (z.B. in Disziplinen) und für den Transfer dieses Wissens in gesellschaftliche Anwendungskontexte (z.B. Beratungskontexte oder Gremien)?
- Welche Tendenzen sind im Bereich der Globalisierung von wissenschaftlichen Feldern zu beobachten? Welche Rolle spielt das Verhältnis von Wissen und Macht für intendierte und nichtintendierte Effekte der Leistungsmessung in der Wissenschaft? Welchen Beitrag können machtanalytische Perspektiven zu den resultierenden Fragen nach Legitimität, Subjektivierung, Standardisierung, Konsekration oder Stratifikation liefern?
- Welche Rolle spielen wissenschaftlich legitimierte Experten in der Gesellschaft? Inwiefern besteht ein Zusammenhang wissenschaftlicher Wissen-Macht-Komplexe mit benachbarten Feldern (z.B. Kunst, Schule), und wie lassen sich diese Komplexe gesamtgesellschaftlich verorten? Wie werden wissenschaftliche Konzepte in nicht-wissenschaftlichen Welten eingesetzt, uminterpretiert und als Machtressourcen verwendet?
- Wie können historische Kontextualisierungen zu einem Verständnis der Produktion und Verwendung wissenschaftlicher Expertise, der Autorität und Autorisierung von Sprechern und der Einbettung dieser Prozesse in gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge beitragen?
- Welche theoretischen, methodologischen oder methodischen Ansätze können zur Analyse einer Vermachtung wissenschaftlichen Wissens, seiner Träger, seiner institutionellen Rahmung beitragen?

Die Beiträge können sich an diesen Fragen orientieren, ebenso können aber auch andere Schwerpunkte gesetzt werden. Wir bitten um die Zusendung eines Abstracts von maximal 2 500 Zeichen (inkl. Leerzeichen) und unter Angabe des Namens, der Anschrift und der Email-Adresse bis zum 15.04.2015.

Als Vortragender hat bereits Rudolf Stichweh zugesagt.

Organisationsteam:
Vincent Gengnagel, Universität Bamberg (vincent.gengnagel@uni-bamberg.de)
Julian Hamann, Northeastern University (j.hamann@neu.edu)
Alexander Hirschfeld, Universität Kiel (ahirschfeld@soziologie.uni-kiel.de)
Jens Maeße, University of Warwick (j.maesse@warwick.ac.uk, jensmaesse@gmx.de)

Wer Interesse daran hat, sich zu diesem Thema mit anderen ForscherInnen zu vernetzen, kann der Gruppe „DiskursMachtWissenschaft“ beitreten. Hierfür ist eine Anmeldung auf www.diskursanalyse.net erforderlich sowie eine kurze Mail an Jens Maeße (Administrator der Gruppe).

Organizer
Vincent Gengnagel, Universität Bamberg (vincent.gengnagel@uni-bamberg.de)
Julian Hamann, Northeastern University (j.hamann@neu.edu)
Alexander Hirschfeld, Universität Kiel (ahirschfeld@soziologie.uni-kiel.de)
Jens Maeße, University of Warwick (j.maesse@warwick.ac.uk, jensmaesse@gmx.de)
Kontakperson
Jens Maeße