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Praxis, Interaktion, Diskurs – Zur Rolle der Akteure im Forschungsprozess. Veranstaltung der Sektion „Methoden der qualitativen Sozialforschung”, auf dem 35. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie

Kategorie
Datum
Mo., 10/11/2010 - Fr., 10/15/2010
Anmeldeschluss

In qualitativen Forschungsprozessen spielen Hintergrundtheorien eine unverzichtbare Rolle. Zu ihren Kernkonzepten gehört die Figur des ‚Akteurs’. Akteure handeln. Akteure erzeugen, verändern oder reproduzieren gesellschaftliche Ordnung, indem sie etwas tun oder sagen wollen. Das galt lange als Selbstverständlichkeit, ganz gleich ob man die kreativen Leistun-gen der Akteure oder ihre strukturierenden Determinanten fokussierte, ob man sich für mikro-soziologische Dynamiken der Interaktion oder makrosoziologische Regelmäßigkeiten des Handelns interessierte. Doch scheint die Auseinandersetzung über Freiheiten und Zwänge des Akteurs zunehmend der kritischen Diskussion darüber zu weichen, ob der Akteur überhaupt als soziologische Grundkategorie taugt. An die Stelle des menschlichen Akteurs als einer vorausgesetzten oder sozialisationstheoretisch rekonstruierbaren Handlungseinheit tritt die Einsicht in seine fragile Konstitution bzw. Konstruktion.
So fragen Praxistheorien danach, wie Handlungsvermögen konstruiert und wie Handlungen den Beteiligten einer Interaktion zugerechnet werden; dekonstruktive Theorien betten Aktor- und Autorschaft in ein intertextuales Gewebe symbolischer Differenzen ein; die Diskursana-lyse betont die Effekte des Gebrauchs von Sprache und die Körpersoziologie verweist auf die zunehmend instabile Grenze zwischen Natur und Kultur, zwischen Mensch und Maschine, zwischen biologischem und sozialem Leben. In der Perspektive der Grenzen der Sozialwelt stellt sich schließlich die Frage, wie überhaupt die Grenze zwischen denjenigen Entitäten ge-zogen wird, die generalisiert als Akteure gelten können und solchen Entitäten, bei denen das nicht der Fall ist.
In methodologischer Hinsicht ergeben sich daraus eine Reihe unterschiedlicher Fragen. Wenn man von verkörperten menschlichen Akteuren ausgeht, ergibt sich die Frage, wie im Zusam-menspiel von menschlichen und nicht-menschlichen Aktanten (Latour) stabile soziale Gebilde erzeugt werden. Wie werden Akteure und ihre Handlungen durch Beobachtungen (Luhmann) erzeugt? Ausgehend von solchen kritischen Anstößen soll in der Sektionsveranstaltung den Konsequenzen der Dezentrierung des Akteurs für die qualitative Forschungspraxis nachge-gangen werden. Es sollen etwa folgende Fragen anhand praktischer Beispiele aus der For-schung diskutiert werden:
Wie trägt die qualitative Forschungsorganisation um individuelle Forscher mit individueller Verantwortlichkeit zu den akteursbezogenen Hintergrundtheorien der Forschung bei?
Welche Bedeutung hat es für die methodische Akteurskonstruktion, dass bei der Anonymisie-rung von Beobachtungen, Akteure als Einheiten der Anonymisierung im Mittelpunkt stehen?
Wie werden in der qualitativen Forschung Analyseeinheiten festgelegt? Welche Konsequen-zen hat es, wenn die Forschung darauf verzichtet, den menschlichen Akteur als Analyseein-heit zu verwenden? Welche anderen Einheiten werden dann fokussiert?
Wie begreift der/die beobachtende
Sozialwissenschaftlerin die eigene Beobachtung wenn nicht als Leistung eines Akteurs?
Welche forschungspraktischen und forschungsethischen Konsequenzen ergeben sich aus einer Dezentrierung des Akteurs?
Vortragsangebote zu den aufgeworfenen (und weiteren) Fragen schicken Sie bitte in Form eines Exposés (max. 5.000 Zeichen) per Email bis zum 15.April 2010 an die JurorInnen.

Organizer
Kontakperson
Johannes Angermüller (Mainz), Gesa Lindemann (Oldenburg)
Netzwerk
DGS-Sektion „Methoden der qualitativen Sozialforschung"