Sprache und Kommunikation um 1968
In den letzten Jahren hat sich der Schwerpunkt der Erforschung der 68er-Bewegung immer mehr von der Geschichte der Ereignisse hin zu einer Geschichte ihrer Repräsentationen verlagert. Die 68er-Bewegung wird in ihrer allmählich einsetzenden wissenschaftlichen Historisierung zunehmend nicht mehr nur als eine auf politische und gesellschaftliche Veränderungen zielende Praxis verstanden, sondern auch als ein Generator neuer Ausdrucksformen und alternativer Symbolsysteme mit langfristiger Breitenwirkung.
Zentrales Medium und Generator der als Kulturrevolution nach chinesischem Vorbild imaginierten Veränderungen war die Sprache. Neue Sprechstile wurden dazu benutzt, die Ziele und Werte der Bewegung zu symbolisieren. Kommunikative Gattungen, in denen - jedenfalls dem Anspruch nach - alle Beteiligten über die gleichen Möglichkeiten zur Beteiligung verfügten, wurden populär: Überall wurde diskutiert, Vorlesungen wurden wegen ihres vermeintlich autoritären Charakters kritisiert, stattdessen sammelten sich die Aktivisten in studentischen Seminaren, Arbeitskreisen und Teach-ins. Die Störung institutionalisierter Kommunikationsformen wie Immatrikulationsfeiern, Verhöre vor Untersuchungsausschüssen oder Gerichtsverhandlungen sollten die universitäre und staatliche Ordnung in Frage stellen und den vermeintlich autoritären Charakter der betreffenden Institutionen demaskieren. Zudem war die Sprache Medium wichtiger zeithistorischer Diskurse, in denen eine Umorientierung des kulturellen Gedächtnisses und die Umwertung traditioneller Werte gesamtgesellschaftlich verhandelt wurden.
Im Rahmen der Tagung sollen die sprachlichen und diskursiven Neuerungen der 1960er Jahre in den Blick genommen und ihr Einfluss auf die Sprach-, Kultur- und Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik untersucht werden. Dabei wird die Frage von besonderem Interesse sein, ob und wenn ja, inwiefern die Jahre um 1968 als Wendepunkt oder Zäsur (der Sprachgeschichte) gelten können.