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Soziale Ungleichheit revisited (Sektion Soziolinguistik, GAL-Kongress 2023)

Category
Date
Wed, 09/20/2023 - Thu, 09/21/2023

Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
55128 Mainz
Germany

Der Zusammenhang zwischen Sprache/Sprachgebrauch und sozialer Ungleichheit war von Beginn an ein zentrales Thema in der Soziolinguistik. Nachdem die Beschäftigung mit diesem Zusammenhang im Lichte eines deskriptiven Wissenschaftsbegriffs und teilweise verzerrter Rezeptionen soziolinguistischer Ungleichheitsforschung ab den späteren 1970er-Jahren nicht zuletzt in der deutschsprachigen Soziolinguistik stark in den Hintergrund gedrängt wurde, ist seit der Jahrtausendwende mit dem Erstarken der kritischen Soziolinguistik und der Forschungen zu Sprach- und Kommunikationsideologien, zu globaler Mobilität und zur Kommodifizierung sprachlicher bzw. kommunikativer Ressourcen eine Renaissance des Themas unter teilweise neuen Perspektiven zu erkennen, die seit einigen Jahren auch die deutschsprachige Soziolinguistik erreicht hat. In dieser Sektion möchten wir diese neueren Entwicklungen – auch im Anschluss an die soziologische Ungleichheitsforschung – kritisch diskutieren.

Im Mittelpunkt der Sektion stehen dabei Wechselbeziehungen von differenzierendem sprachlichen bzw. kommunikativen Verhalten sowie sprachlichen Repertoires und sozialer Ungleichheit auf theoretischer, methodologischer und empirischer Perspektive. Uns interessiert etwa, wie Sprachgebrauchsformen in verschiedenen Sprachgebrauchsfeldern ­­­(etwa in Familie, Beruf, Bildung, Wissenschaft, Medien und öffentlichen Organisationen wie Ämtern) mit sozialer Wertigkeit aufgeladen werden, wie sich diese Differenzierungen in Praktiken der Selbst- und Fremdpositionierung, der Exotisierung sowie der vertikalen und horizontalen Grenzziehung bzw. Strukturierung ausdrücken, und in welcher Weise diese Prozesse soziolinguistisch untersucht werden können. Anknüpfend an die Arbeiten der kritischen Soziolinguistik wollen wir auch ausloten, welche Interventionspotenziale die soziolinguistische Analyse sozialer Ungleichheit als Teil einer Angewandten Linguistik mit Blick auf sprachbedingte Diskriminierung entwickeln kann. Dabei möchten wir eine intersektionale Perspektive vorschlagen und die Verzahnung rassistischer, klassistischer und sexistischer sprach- und kommunikationsideologischer Formationen sowie die Konsequenzen, die sich aus ihnen für betroffene Sprecher:innen ergeben, beleuchten. Wir laden aber auch zu alternativen Perspektivierungen ein.

Folgende Themenfelder und Fragen schweben uns vor:

  • Soziale Valorisierung und Registrierung von Sprachgebrauchsformen: Welche diskursiven und interaktionalen Prozesse lassen sich rekonstruieren, durch die spezifischen Sprachgebrauchsformen sozialer Wert beigemessen oder abgesprochen wird? Welche kommunikationsideologischen Muster liegen diesen Valorisierungen und Registrierungen zugrunde? In Orientierung zu welchen sozialen Achsen nehmen die Mitglieder einer Gemeinschaft die Bewertung von Sprachgebrauchsformen vor?

  • Ökonomische Valorisierung von Sprachgebrauchsformen: Wie drückt sich die soziale Hierarchisierung sprachlicher Differenz in der Kommodifizierung spezifischer Sprachgebrauchsformen aus? Welche Transformationen von sprachlich-sozialem Kapital zu ökonomischem Kapital lassen sich beschreiben – beispielsweise in Form der kommerziellen Vermittlung prestigeträchtiger bzw. in merkantilen Kontexten erfolgversprechender Sprachgebrauchsformen einerseits oder auch der Stilisierung von stigmatisierten Sprachgebrauchsformen im Kontext der Unterhaltungsindustrie andererseits.

  • Sprachgebrauch und soziale Ungleichheit in Institutionen: Welche strukturell verankerten Ungleichheiten in Institutionen lassen sich als sprach- bzw. kommunikationsbedingt beschreiben? Welche Mehrsprachigkeitsideologien prägen den Umgang mit und den erlebten Alltag von Sprecher:innen in (öffentlichen) Institutionen?

  • Sprachrepertoires, Sprachbiographien und Spracherleben: Welche individuellen und biographischen Konsequenzen erleben Sprecher:innen aufgrund sprachideologisch produzierter Ungleichheit? Welche Auf- und Abwertungen sprachlicher Ressourcen erleben Sprecher:innen beispielsweise im Zuge globaler Mobilität?

  • Mediale Repräsentationen sprachlicher Machtverhältnisse: Welche sprach- und kommunikationsbedingten Machtverhältnisse werden in den öffentlichen Medien konstruiert und abgebildet? Welche (stereo-)typischen Sprecher:innen werden Sprachgebrauchsformen in Medientexten zugeordnet und wie reproduzieren diese Darstellungen dabei soziale Ungleichheit? Welche öffentlich-medialen Metadiskurse über Sprache und soziale Ungleichheit lassen sich beschreiben?

  • Soziale Ungleichheit und Sprachlandschaften: Wie drückt sich soziale Ungleichheit in (öffentlichen) Sprachlandschaften aus bzw. wie wird soziale Ungleichheit durch Sprachlandschaften produziert (z.B. in Stadtteilen, aber auch in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Universitäten)?

  • Sprachwissenschaftliche Arbeit und soziale Ungleichheit: Welche sprach- und kommunikationsideologischen Setzungen liegen (historisch) den Bewertungen und Machtdynamiken der Angewandten Linguistik sowie der Soziolinguistik zugrunde, und wie schlägt sich dies in sozialen Ungleichheiten innerhalb des Fachs sowie auch in Ungleichheiten, die das Fach (mit) perpetuiert, nieder? Welche methodologischen Konsequenzen ergeben sich aus solchen kritisch-reflexiven Perspektiven auf das eigene Fach?

Wir freuen uns über Vorschläge für Einzelvorträge (20 Min. + 10 Min. Diskussion) in deutscher oder englischer Sprache. Willkommen sind empirische, fachreflexive, theoretische und/oder methodologische Beiträge. Falls Sie interessiert sind, schicken Sie uns bitte ein Abstract (ca. 500 Wörter). Bitte beziehen Sie sich darin auch explizit auf den Call for Papers, sodass erkennbar ist, mit welchen der skizzierten Themenfelder und Fragen Sie sich in Ihrem Vortrag befassen und wie Sie sich diesen nähern wollen.

Nähere Informationen zur Einreichung finden Sie im beigefügten Call for Papers.

Viele Grüße,

Florian Busch, Mi-Cha-Flubacher & Jürgen Spitzmüller

Organizer
Florian Busch (Bern), Mi-Cha Flubacher (Wien), Jürgen Spitzmüller (Wien)
Media
Cfp Call for papers