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Diskursrelationen zwischen Materialität, Emotion und (Un)Sagbarkeit

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Jeu, 09/21/2017 - sam, 09/23/2017
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Die Diskursforschung sieht sich in jüngerer Zeit zunehmend kritischen Einwänden ausgesetzt, die in vorderster Linie die Vernachlässigung von Materialitäten betreffen, wobei Materie jedoch heute nicht mehr passiv, sondern vornehmlich als wirkmächtig, aktiv und plural gedacht wird (u.a. Aktor-Netzwerk-Theorie, Materiale Semiotik, Agentieller Realismus). Bereits seit Karin Knorr-Cetinas programmatischem Aufsatz Sozialität mit Objekten. Soziale Beziehungen in post-traditionalen Wissensgesellschaften von 1998 stellen sich die Sozialwissenschaften, ausgehend von der Wissen(schafts)soziologie und Laborforschung, die sozial- und gesellschaftstheoretischen Fragen nach den sich verändernden Bedingungen der Sozialität und der Vergesellschaftung in den sich globalisierenden modernen Gesellschaften neu. Materialitäten kommen aber nicht nur durch die Kategorigisierung, Relationierungen und Dimensionalisierung der Dinge, der Technofakte und der digitalen Medien und die durch sie erzeugten (virtuellen und möglichen) Welten ins Spiel, sondern auch durch die menschlichen Körper und deren sich – unter Mitwirkung von Techniken – transformierenden Korporealitäten. Virulent wird dabei einerseits die Frage nach der Eigen- oder Widerständigkeit der Dimension des Materiellen sowie andererseits jene nach den spezifischen Verhältnissen der Materialisierungen und den jeweiligen Machteffekten der diskursiven Konstruktion von Wirklichkeit.

Die zweite Wissensrelation zwischen Diskursen und Emotionen befasst sich mit dem Konflikt zwischen universalistischen Emotionskonzepten und sozial-konstruktivistischen Positionen, die die Historizität, soziale Genese und diskursive Konstituiertheit von Emotionen und Emotionskonzepten herausstellen. Strittig ist dabei u.a. inwiefern Emotionalität noch problemlos als ein Alleinstellungsmerkmal der Spezies Mensch gelten kann, zumal in Feldern technologischer Innovation wie dem affective computing auch die Grenzen zwischen der (inneren) menschlichen „Natur“ und technischen Artefakten unscharf werden. Nun wird nicht nur die Frage gestellt, ob und in welcher Weise Maschinen fühlen können oder gar zum emotionsensitiven Partner werden können, sondern auch jene nach den sich durch „mithandelnde Technik“ (Rammert/Schulz-Schaeffer) verändernden gesellschaftlichen Interaktionsverhältnisse.

Schließlich sind die Ambivalenzen des Begriffes des Unsagbaren zum Gegenstand sozialwissenschaftlicher Debatten geworden. Strittig ist hier in vielfacher Hinsicht, ob und welche vorsprachliche Instanzen ins Spiel kommen müssten, die eine sprachzentrierte Diskurskursforschung entweder systematisch übersieht oder, so die Mutmaßungen der Kritiker, konzeptionell nicht in den Griff bekommt. Die sich anschließende weiterreichende Frage nach der Unverfügbarkeit des Stofflichen (einschließlich des Leiblichen) versucht die mögliche Grenze auszuloten, jenseits derer sprach- und diskurstheoretische Konzepte letztlich keine angemessenen Antworten mehr bieten können.
Der Call for Paper setzt sich zum Ziel diese kritischen Fragen aus der Perspektive der empirisch orientierten Diskursforschung in produktiver Weise aufzugreifen und in Form dreier thematischer Schwerpunkte zur Diskussion stellen. Vor diesem Hintergrund sind Autorinnen und Autoren, die einen Beitrag einreichen möchten, gebeten, (mindestens) einen der nachfolgenden Themenschwerpunkte aufzugreifen oder diese auf kreative Weise in Beziehung zu setzen.

Erstens soll die Frage nach der Notwendigkeit einer materialistische Wende, vor dem Hintergrund des nicht zuletzt durch den neuen Materialismus und den agentiellen Realismus (u.a. K. Barad; Braidotti) beklagten Defizits mit Blick auf die Analyse materieller Dimensionen diskursiver Strukturierungen und Prozesse thematisiert werden. Dabei stellt sich jenseits der Frage nach der Materialität des Diskursiven notwendig auch die Frage nach der Reichweite und den möglichen Grenzen des von Foucault vorgeschlagenen Dispositivkonzeptes und der damit zusammenhängenden Regierung der Dinge.

Zweitens soll die Frage nach den Emotionskonzepten, dem Status der Emotionen und Gefühle im Rahmen von Diskursen und den emotionsbezogenen Effekte von Diskursen gestellt werden. Offen scheint dabei u.a. nicht nur die Frage nach einer angemessenen diskurstheoretischen Problematisierung gesellschaftlicher Emotionskonzepte, sondern auch die diskursanalytische Bearbeitung gegenwärtiger Entwicklung in öffentlichen Arenen, die gekennzeichnet sind durch hohe Grade Emotionalisierung: so konstatieren aktuelle populäre und wissenschaftliche Debatten den Übergang zum „postfaktischen Zeitalter“, in dem die „gefühlte“ Wahrheit zunehmend an Bedeutung gewinnt, die „Wutbürger“ in der „Angstgesellschaft“ ihren Protest auf die Straßen tragen, der durch hate speech in den emotionsbeschleunigenden sozialen Medien befeuert wird.

Drittens verlangt die Frage nach dem Unsagbaren nicht nur eine kritische Reflexion des jeweiligen Begriffes des Stofflichen oder Materiellen – aber auch des Begriffes des Unsagbaren selbst –, sondern auch neue diskurstheoretischen und diskursanalytischen Antworten auf die Frage nach den Grenzen des Diskursiven, dem Verhältnis des Nicht-Diskursiven und des Diskursiven sowie nach der „Konstruiertheit“ von Begriffen und des Stofflichen. Wie, wenn nicht im Rahmen von Diskursen, kann, so wäre kritisch zu fragen, dann das vermeintlich Unsagbare dennoch Thema werden?

Theoretische, methodologische und empirische Themenvorschläge (max . 500 Wörter) senden Sie bitte unter Angabe Ihres Namens sowie der institutionellen Anbindung bis zum 15. April 2017 an folgende Email-Adresse: sasa.bosancic@phil.uni-augsburg.de

Organizer
Willy Viehöver (Fulda), Sasa Bosancic (Augsburg), Reiner Keller (Augsburg)
Personne à contacter
Sasa Bosancic